„Euch schickt der Himmel“
© Johannes Lay/Wiesbadener Kurier
05.06.2023
aw
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„Sie liefern den Teil der Zuwendung und Hilfeleistung, den wir nicht geben können. Als Teil der Blaulichtfamilie sind Sie Garant dafür, dass die Menschen in dieser Stadt ruhig schlafen können“, machte Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende dankbar klar, wie sehr diese weitestgehend ehrenamtlich tätige Institution in unserer Gesellschaft gebraucht wird:
„Sie schickt der Himmel.“ Genau das haben Angehörige gerade Verstorbener, aber auch Einsatzkräfte in den vergangenen drei Jahrzehnten sicher tausend Mal gedacht. „Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass es Euch einmal nicht mehr gibt“, sagte der Wiesbadener Feuerwehr-Chef Andreas Kleber und versprach, „alles zu tun, was in meiner Macht steht, dass die Politik diese Arbeit unterstützt und wir auch die nächsten 30 Jahre zusammen zum Wohle der Menschen wirken können.“
Denn wenngleich der Notfallseelsorge-Verein, einst in Wiesbaden von den Pfarrern Detlef Nierenz und Andreas Mann initiiert, heute als Selbstverständlichkeit betrachtet wird, so wenig ist seine Zukunft gesichert. Das belegten nicht nur die Gäste aus Torgau, einer Partnerorganisation von SiN, die Nierenz vor 20 Jahren aufzubauen half. Sie hatte 2022 aufgeben müssen, weil das Rote Kreuz als Konkurrenz auftrat und der Kirchenkreis sich als Träger zurückzog. Aber Pfarrer Reinhard Keiling schaffte mit seinem Team und der Kirchengemeinde Oschatzer Land nun den Neustart.
Und auch Andreas Mann schlägt kämpferisch Alarm. Seine Stelle – je zur Hälfte als Beauftragter der Landeskirche für Notfallseelsorge und Fachberater der SiN in Wiesbaden – soll nicht mehr besetzt werden, wenn er nächstes Jahr in Ruhestand geht. „Das zeigt die Wertschätzung meiner Arbeit“, sagt er mit bitterer Ironie.
Von den neun Sonderpfarrstellen, die es derzeit in der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau im Bereich der Notfallseelsorge gibt, sollen insgesamt vier wegfallen. „Dabei bräuchten wir eigentlich mehr Hauptamtliche. Ich finde, dass die Notfallseelsorge ein wichtiger Auftrag der Kirche ist.“
Eberhard Busch, Präses des Dekanats Wiesbaden – selbst aktiver Notfallseelsorger und stellvertretender Vorsitzender von SiN – betonte, dass die innerkirchliche Diskussion noch nicht beendet sei. Gemeinsam mit der neuen Dekanin Arami Neumann will er Einfluss nehmen. „Kirche ist mehr als Gemeindearbeit.“
Das sieht Marktkirchenpfarrer Holger Saal, der mit Andreas Mann den Gottesdienst gestaltete, genauso. Seit gut vier Jahren ist er „nebenbei“ als Notfallseelsorger im Einsatz. „Es ist gut, dass wir da sind. Wenn Rettungskräfte oder Polizei wieder gehen – wir bleiben.“ Die Menschen in den schlimmsten Stunden ihres Lebens nicht allein zu lassen, sei das Wichtigste.
"Beistand – im wahrsten Sinne des Wortes“, nennt das Andreas Mann. Da müsse man auch mal die eigene Hilflosigkeit aushalten. „Eine belastende – aber zutiefst sinnvolle Arbeit“, sagt Holger Saal.
Nachdem der Biebricher Martin Roggenkämper sich nun aus dem aktiven Dienst zurückgezogen hat, ist Saal der letzte verbliebene Gemeindepfarrer im Team. Der Rest kommt aus den verschiedensten Berufen.
Vorsitzender Christoph Fliegen ist Verwaltungsfachangestellter beim Statistischen Bundesamt. „Über einen Mangel an Einsätzen haben wir nicht zu klagen“, berichtet der. 2022 waren es 181. Also rechnerisch an jedem zweiten Tag einer. Die allermeisten finden im Verborgenen statt. „Spektakuläre Großschadenslagen oder Autobahnunfälle, von denen öffentlich die Rede ist, sind die Ausnahme. Da hatten wir im vergangenen Jahr gerade zwei Stück.“
Er erinnerte aber auch an das Jahr 2021, als sein Verein bei der Waldbrand-Katastrophe in Griechenland und beim Hochwasser an Ahr und Erft im Einsatz war. Gerade hat Ministerpräsidentin Malu Dreyer die Wiesbadener Notfallseelsorger mit der rheinland-pfälzischen Fluthelfer-Medaille ausgezeichnet.
Christoph Fliegen muss mit aktuell 25 Aktiven – unter ihnen zwölf Neulinge, die am Samstag in der Marktkirche offiziell beauftragt wurden – eine ganzjährige Rufbereitschaft organisieren. An 365 Tagen rund um die Uhr. In Tag- und Nachtschicht. „Immer von sechs bis sechs.“ Binnen 20 Minuten nach der Verständigung durch Polizei oder Rettungsleitstelle wolle man am Einsatzort sein. Nach Möglichkeit zu zweit.
Drum sucht Fliegen nach Verstärkung und wirbt für den nächsten Grundkurs, der im Herbst beginnt. In 80 Stunden werden die Interessenten geschult.
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Seelsorge in Notfällen im Netz
Autor: Heinz-Jürgen Hauzel
Quelle: Wiesbadener Kuruer / 5. Juni 2023
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