Nacht der Kirchen 2019
Magisch, mystisch, musikalisch
06.09.2019
aw
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„Herzlich willkommen in unserer Kirche“: Die Begrüßungsworte, die Gabriele Dries, Vorsitzende des Ortsauschusses des katholischen Kirchortes St. Michael, um 18 Uhr an die ersten Besucher richtete, waren an diesem langen Abend an vielen Orten in der Stadt zu hören.
22 Kirchen – ein ökumenischer Rekord - haben am Freitag, 6. September, mit einem bunten und spannenden Programm erneut für eine Nacht ihre Tore geöffnet, mehrere tausend Besucher angelockt und als „leuchtendes ökumenisches Zeichen die Vielfalt des christlichen Lebens in Wiesbaden wiedergespiegelt“, wie der katholische Stadtreferent Thomas Weinert aus Veranstaltersicht bilanzierte.
Eingeläutet von den Glocken aller beteiligten Kirchen endete die Nacht mit einer ökumenischen Schlussandacht in der Marktkirche mit dem katholischen Stadtdekan Klaus Nebel und dem evangelischen Dekan Dr. Martin Mencke.
Baustellen des Lebens
Rot-weiße Absperrbänder, dreieckige Hinweisschilder, Menschen in orangefarbenen Warnwesten: Als Baustelle präsentierte sich die katholische Kirche St. Michael. „Für uns ist die Teilnahme eine Premiere und wir sind ganz schön aufgeregt“, sagte Gabriele Dries.
Nachdem an den Bodenplatten des Gotteshauses Verwerfungen und sogar Löcher aufgetreten waren, wurde die pfiffige Idee geboren, das Thema auch metaphorisch in den Mittelpunkt zu stellen. Unter dem Titel „Baustellen des Lebens“ waren fünf interaktiver Stationen aufgebaut, von den (eigenen) Fundamenten bis hin zu den Mauern, die es einzureißen gilt. „Wir wollen damit auch Leute ansprechen, die nicht regelmäßig in die Kirche kommen, und zeigen, dass der christliche Glaube Antworten hat“, erläuterte Gemeindemitglied Gabriele Socher-Schulz den Anspruch.
Tango und Charleston in der Marktkirche
Großen Zulauf von Menschen aller Altersklassen konnte den ganzen Abend über die Marktkirche verzeichnen. Zum Start unterhielt Hans Uwe Hielscher, seit 1979 hier Organist und Carillonneur, die zahlreichen Zuhörer mit detailreichem Fachwissen über Architektur, Geschichte und Ausstattung der evangelischen Hauptkirche der hessischen Landeshauptstadt.
Wer hätte schon gewusst, dass in diesem Bau genau 6.543.081 Ziegelsteine verbaut sind? Mit leisem Raunen nahm das Publikum die Zahl zur Kenntnis. Alle Köpfe gingen brav nach oben, als Hielscher auf die unglaubliche Höhe des Raumes mit stattlichen 25 Metern aufmerksam machte. Und dann nach hinten zur Empore, wo er mit deutlichem Stolz auf „die größte Orgel der Landeskirche“ hinwies, mit 6200 Pfeifen und fast 13 Meter hoch. Wie heiter und beschwingt das ehrwürdige Instrument klingen kann, stellte er anschließend mit dem Nassauischen Blechbläser-Ensemble unter Beweis: Tango und Charleston gehörten dabei zum außergewöhnlichen Programm.
Der Mann mit dem Bajan
Aus der St. Bonifatiuskirche, der katholischen Stadtkirche, war schon von weitem der mächtige Klang der Orgel zu hören. Mit „Orgel und Bibel“ wurde hier der Abend eröffnet. „Auf dich, o Herr, habe ich meine Hoffnung gesetzt. In Ewigkeit werde ich nicht zuschanden“, las Rektor Dr. Stefan Scholz und Cornelius Dahlem flutete an der Orgel mit der Hymne d’Actions de graces „Te Deum“ von Jean Langlais den Kirchenraum mit Musik.
Der große Publikumsmagnet des Abends aber war Victor Pribylov mit seinem Bajan. Er spielte abwechselnd mit Gabriel Dessauer an der Orgel Werke von Bach: auswendig, farbenreich und intensiv. Zum Schluss gab es stehende Ovationen von den rund 350 Zuhörern.
Ruhe und Konzentration stellten sich später beim Kreuzweg von Marcel Dupré ein. Mehr als tausend Menschen waren es insgesamt, die an diesem Abend der Kirche einen Besuch abstatteten.
Nicht nur hier, sondern auch in vielen anderen Kirchen gab die Musik den Ton an, so auch in der evangelischen Lutherkirche, wo man sich ebenfalls über mehr als 1000 Besucher freute.
Außer den Chor- und Orgelkonzerten waren hier die Turmführungen mit Blick auf das nächtliche Wiesbaden Publikumsrenner.
In der Evangelisch-Lutherischen Christuskirche löste das Konzert des Posaunenchors "Brass goes Gospel" Begeisterungsrufe und kräftigen Applaus aus, während für die Verköstigung "Erica’s Manna Mobil" sorgte.
Wow-Effekt in der Jugendkirche
An der Maria-Hilf-Kirche, zugleich Sitz der katholischen Jugendkirche Kana, war für die Besucher auf den Treppenstufen sogar ein – ganz kleiner – roter Teppich ausgelegt worden. Drinnen luden im geheimnisvoll ausgeleuchteten weiten Raum, erfüllt von den meditativen Klängen des Komponisten Enrico Einaudi, sieben Stationen unter dem Motto „Mehr als du siehst“ zum interaktiven Rundgang ein.
Im flackernden Kerzenlicht konnten Besucher unter anderem eigene Kreuzwegerfahrungen aufschreiben. „Wie oft haben sie mich ausgelacht“, lautete eine der berührenden Botschaften, auf einem gelben Post it-Zettel an dem hölzernen Kreuz auf dem Boden befestigt.
„Was ist dir himmlisch?“ Dieser Frage sannen einige Gäste auf einer der ausgelegten Matratzen nach, den Blick nach oben gerichtet.
Absolut magisch wurde es jeweils zur vollen Stunde. „Lost but won“ war die Lightshow überschrieben, die das „Spannungsverhältnis zwischen Verlorenem und Gewonnenem“, so Jugendkirchenleiter Thomas Klima, rot, grün und blau ins rechte Licht rückte und immer wieder für einen besonderen Wow-Effekt sorgte.
Kunst und Film
Einen künstlerischen Akzent zur Nacht der Kirchen zu setzen, hat für die evangelische Kreuzkirche Tradition. „Freiheit“ lautete in diesem Jahr die thematische Klammer. Zu den großformatigen Acrylmalereien des Mainzer Künstlers Thomas Richartz, dessen Arbeiten in Schwarz-Weiß an den Ungarnaufstand von 1956 erinnern, und den Fotomontagen von Erna Porten passte thematisch der Film „Das schweigende Klassenzimmer“, der auf einer Großbildleinwand im Kirchenraum vor rund 150 Besuchern gezeigt wurde. Er handelt von einer Abiturklasse in der damaligen DDR, die 1956 mit einer Schweigeminute der Opfer des in Budapest niedergeschlagenen Aufstandes gedenken wollten.
„Sehr bewegend“, resümierte Christa Graff-Kirchen, Vorsitzende des Kirchenvorstands der Gemeinde. Der Film habe auch im Nachhinein noch zu intensiven Gesprächen Anlass geboten.
Die große Tafelrunde
Im katholischen Kirchort Dreifaltigkeit blieben einige Gäste gleich zu allen Veranstaltungen und zur Orgelführung gingen die Besucher des vorangegangenen Konzertes direkt auf die Empore. „Mich hat beeindruckt, wie vorsichtig und ja, man kann sagen, ehrfürchtig die Menschen die Kirche besucht haben“, freute sich Gemeindereferentin Carolin Enenkel.
Gekommen, um zu bleiben: Das war auch bei den Baptisten zu beobachten, deren Teilnahme an der Nacht der Kirchen ebenfalls eine Premiere war. „Wir erlebten eine wunderbare Atmosphäre und interessierte Menschen“, sagte Pastor Jochen Jäger. „Bei Wasser und Brot“ – diese Formulierung war hier wortwörtlich gemeint: Am Ende wurden sieben Kilogramm Brot und literweise frisches Taunuswasser verspeist.
Kulinarisch eher aufwändig ging es dagegen in der katholischen St. Mauritius-Kirche zu. Hier schloss sich an Führungen, einem gut besuchten Taizé-Gebet und einem Vortrag eine muntere Tafelrunde auf dem Kirchenvorplatz an, bei der rund 40 Besucher an weiß eingedeckten Tischen im Kerzenlicht kleine Köstlichkeiten genossen, von einem Akkordeon-Spieler mit "Mundorgel-Liedern" durch die Nacht begleitet.
Gastfreundliche Gemeinschaften
In der St. Augustine Canterbury zeigten sich viele Teilnehmer nicht nur angetan von Evensong und Chorkonzert, sondern regelrecht berührt vom letzten Programmpunkt: "Better Together“. Sie bedankten sich dafür, „dass wir mit Musik und Text das Thema Verbindung und Versöhnung aufgegriffen hatten“, berichtete Rev. Christopher Easthill.
Ein regelrechtes Aha-Erlebnis hatten einige Besucher der evangelischen Heilig-Geist-Kirche in Biebrich, die noch nie hier gewesen waren und an diesem Abend die moderne Architektur der „kühnsten Kirche Hessens“ bewunderten. „Ein Traum“ lautete der spontane Kommentar eines Paares, das zum besinnlichen Harfenspiel bei abendlicher Innenbeleuchtung die Kirche betrat.
Eine wunderbare Gelegenheit, "in die bunte Vielfalt der Ökumene hineinzuschnuppern", meinte eine Besucherin der Friedenskirche, deren Innenraum durch die Bilder der indischen Künstlerin Lucy D'Souza-Krone zum Leuchten gebracht wurden.
Beim abschließenden Taizé-Gebet füllte sich der Kirchenraum noch einmal. Gesänge, Stille und Gebet schafften eine berührende Atmosphäre. "Es war wunderschön", meinte leise ein Gast im Hinausgehen in die Nacht.
Möglicherweise kommt der eine oder andere Besucher nach diesen Erfahrungen auch vor der nächsten Großveranstaltung wieder, „denn in den Kirchen unserer Stadt sind gastfreundliche Gemeinschaften zu Hause, die nicht nur in dieser Nacht offene Türen haben.“, so Stadtreferent Thomas Weinert.
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