Lektoren und Prädikantinnen
Von der Kirchenbank ans Lesepult
Wolfgang Behler
31.10.2019
kf
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Von Bettina Behler
Wichtig ist es, Pausen einzulegen. Aus einem Punkt kann ruhig auch mal ein regelrechter Kreis werden: zum Luftholen, ausatmen, die Gemeinde anschauen. Eine der zentralen Lektionen des Lektorenkurses: Durchhecheln hilft nichts. Wie erobere ich den Raum? Was macht ein Perspektivwechsel mit mir, wenn ich statt in der Kirchenbank zu sitzen, in der Kirche am Lesepult das Mikrofon ausrichte auf meine Körpergröße? Fragen, auf die von August 2018 bis August 2019 die zwölf Teilnehmenden des Lektorenkurses des Evangelischen Stadtdekanats Frankfurt und Offenbach und des Evangelischen Dekanats Rodgau Antworten suchten. Zum ersten Mal haben die beiden Kirchenkreise an dieser Stelle miteinander kooperiert.
Vier Frankfurterinnen, ein Frankfurter, drei Gemeindeglieder aus dem Rodgau, eine Teilnehmerin aus dem Hochtaunus, zwei aus dem Dekanat Darmstadt sowie eine Wiesbadenerin haben ein Jahr lang in ihren Mentorengemeinden - das sind nicht die „Heimatgemeinden“ - Feedback eingesammelt in Sachen Gottesdienstgestaltung. Zuerst übernahmen sie möglicherweise die Lesung, sprachen vielleicht mal ein Gebet, zum Schluss trugen sie - begutachtet von Dekanin oder Dekan - eine ganze Lesepredigt vor.
„Man muss da reinwachsen“
In der Evangelischen Lutherkirche im Frankfurter Nordend erhielten sie nun alle von Prodekanin Dr. Ursula Schoen ihre Beauftragung als Lektor*in. Im Unterschied zu Prädikantinnen und Prädikanten sind sie zukünftig nur befugt, vorliegende Predigten vorzutragen – eventuell mit kleinen Änderungen. Eigenes Formulieren kommt erst im zweiten Schritt.
Lektoren- und Prädikantenausbildung zu trennen, ist ein neues Modell. Pfarrer Hans Reiner Haberstock von der Frankfurter Luthergemeinde, der vor diesem schon drei Prädikantenkurse geleitet hat, findet die Teilung nicht schlecht.
„Man muss da reinwachsen.“
Mit ihm und Pfarrer Ralf Feilen haben Martin Birkenfeld und Ute Hirsch die Ausbildung betreut, beide gleichfalls ehemalige Kursabsolventen. Die gelernte Industriekauffrau versteht ihr Engagement in den Gottesdiensten als „Hobbyfreizeit“, nicht als Arbeit, und als etwas aus der Kategorie „lebenslanges Lernen“. „Auch als Kursleiterin nehme ich immer wieder was mit“, sagt Hirsch, die früher im Vertrieb tätig war und heute als Assistentin der Geschäftsleitung im Zentrum Ökumene der Evangelischen Kirche von Kurhessen Waldeck (EKKW) und der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) angestellt ist.
Auch für Ute Hirsch bietet das neue Ausbildungsmodell Vorteile: „Es ist der Qualität der Ausbildung nur förderlich: Wir konnten einzelne Elemente eines Gottesdienste eingehender bearbeiten.“ In der gegebenenfalls anschließenden Prädikantenausbildung „können wir uns dann eingehender mit dem Schreiben von Predigten und Gebeten befassen.“
Sich die 2000 Jahre alten Texte anzueignen, das gelinge nicht durch schlichtes Lesen, da brauche es schon mehr, um sie zu erfassen und sie dann in einem Gottesdienst vortragen zu können, meint Haberstock. Elvira Turchet aus Dietzenbach, eine der Absolvent*innen, die jetzt ihre Beauftragung erhalten haben, sagt, sie habe jetzt einen ganz anderen Zugang zu den Texten.
Nicole Lauterwald aus Frankfurt-Rödelheim, die sich übergemeindlich kirchenmusikalisch engagiert, resümiert, der Kurs habe ihr noch einmal deutlich gemacht, „wie wichtig es ist, dass man den ganzen Gottesdienst verinnerlicht“.
Heike Ließmann, hr-Redakteurin, hatte während der Kursmonate einiges um die Ohren: Zum einen verantwortete sie das Funkkolleg zu „Religion Macht Politik“; zum anderen wollte sie ihre Tochter, die vor dem Abitur stand, nicht vernachlässigen.
„Kann ich vor einer Gemeinde Gottes Wort repräsentieren?“
Und da gab es auch noch andere Hürden: Erfahren am Radiomikrofon, habe sie sich gefragt: „Kann ich mich vor eine Gemeinde stellen und Gottes Wort repräsentieren? Steckt dahinter nicht patriarchalische Denke, wenn ich ‚Gott, der Herr‘ sage?“ Ein Thema, mit dem sie inzwischen gut umgehen kann: Die Gespräche mit ihrem Mentor hätten ihr klargemacht, aus welchem Kontext das stammt. Dahinter steht für sie jetzt, abgeleitet „aus dem Zeitalter Jesu, ein rebellischer Akt“ - nicht dem weltlichen, römischen Befehlshaber obliegt die Herrschaft, über sie verfügt nur Gott.
Vor zehn Jahren machten Männer rund ein Drittel des Kurses aus, erzählt Haberstock. Frauen seien wohl eher bereit, „sich auf so einen Kurs einzulassen und dazu zu lernen“, vermutet der Pfarrer. Er bedauert es, dass seine Geschlechtsgenossen die Offerte des Zentrums Verkündigung der EKHN nicht eifriger nutzen.
Felix Meurer, Küster in Frankfurt-Zeilsheim, hat sich mit großem Engagement in den Kurs begeben, dicke Ordner angelegt. Sehr habe er von den Rückmeldungen profitiert, äußert der frühere Katholik. Viel sicherer fühle er sich jetzt, wenn er den Gottesdienstraum nicht nur vorbereite, sondern den Gottesdienst auch halte, sagt der 67-Jährige.
Zu den Jüngsten in dem Lektorenkurs gehörte Mareike Steinmetzer, 25. Die angehende Grundschullehrerin hat zwar auch an der Uni das Fach Religion belegt, aber sie wollte mehr, Gottesdienst sei doch was anderes. „In meinem Freundeskreis, haben die meisten mit Kirche nicht viel zu tun. Ich fand es schön, mich da mal mit anderen austauschen zu können“, sagt die Referendarin aus Wiesbaden-Heßloch.
Ausbilderin Ute Hirsch gibt den Teilnehmenden am Ende unter anderem mit auf den Weg: Zuerst die Liturgie und die Lieder aussuchen und „Ruhe bewahren, auch wenn der Predigttext so gar nicht ansprechend ist".
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