Interview
"Die Kita muss allen Kindern Teilhabe ermöglichen"
© Jenny FischerJenny Fischer09.12.2020 aw Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Erleben Sie Kinderarmut in Ihrer täglichen Arbeit?
Wir nehmen die Auswirkungen von Kinderarmut in unserer Einrichtung ganz unterschiedlich und individuell wahr. Vieles ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Oft muss man genau hinschauen und benötigt Hintergrundinformationen über die Lebensumstände der Kinder. Ganz konkret fällt es uns bei Teilhabe am sozialen Leben außerhalb der Kita auf: Sportverein, Musikschule, oder Schwimmkurs können sich von Armut betroffene Familien für ihre Kinder selten leisten. Sie nehmen nicht an Bildungsangeboten teil, es fehlt die materiellen Ausstattung, um etwa Kindergeburtstage zu feiern.
Welche Möglichkeiten haben Sie als Kindertagesstätte, um betroffene Familien, Kinder und Jugendliche zu unterstützen?
Wir wollen allen Kindern gleichberechtigt Teilhabe ermöglichen und alle Angebote, Aktivitäten und Feste so gestalten, dass jedes Kind teilnehmen kann. Alle unsere Angebote sind kostenlos. Wir machen Familien Spielmaterial und Bücher zugänglich und verleihen diese, geben Sachspenden gezielt weiter, beraten zu Hilfsangeboten und Freizeitmöglichkeiten, organisieren und finanzieren Ausflüge sowie Theater- und Museumsbesuche über die Kita. Auch werden alle Mahlzeiten über die Einrichtung organisiert. Die Kinder bringen also kein eigenes Frühstück oder eigene Snacks mit. So vermeiden wir die Situation, dass einige Kinder nichts dabeihaben oder sich das mitgebrachte Essen in der Qualität unterscheidet.
Welche konkrete Hilfe würden Sie sich wünschen, um Kinder- und Jugendarmut besser begegnen zu können?
Gute Unterstützung braucht Zeit und gezielt ausgebildete und sensibilisierte Mitarbeiter*innen. Ich könnte mir vorstellen in Kooperation mit z.B. einer Beratungsstelle eine regelmäßige Sprechstunde in der Kindertagesstätte anzubieten, um Familien Hilfe bei Anträgen, Beratung und Unterstützung vor Ort anbieten zu können. Dies ist unter den aktuellen Rahmenbedingungen leider nicht in dem Umfang möglich, wie ich es mir wünschen würde. Auch mehr für unsere Familien gut zu erreichende Freizeit- und Bildungsangebote wären wünschenswert.
Die Corona-Pandemie stellt das Leben aller Familien auf eine harte Probe. Welche Auswirkungen oder auch Spätfolgen befürchten Sie für die von Armut betroffenen Kinder?
Wir haben zwar im Frühjahr im Lockdown über die ganze Zeit intensiven Kontakt mit unseren Familien und Kindern gehalten, aber man darf nicht unterschätzen, was diese Situation mit den Kindern gemacht hat – ohne Freunde und soziale Kontakte. Wir sind daher bemüht, Erlebtes pädagogisch aufzuarbeiten und die Erfahrungen der Kinder aufzugreifen.
Kurzarbeit oder der Verlust der Arbeitsstelle führt zu einem geringeren Familieneinkommen, was auch unsere Kinder zu spüren bekommen. Ich gehe davon aus, dass die finanzielle Situation in einigen Familien noch länger angespannt bleiben wird.
Die Fragen stellte Nicole Nestler
Die Autorin des Interviews, Nicole Nestler vom Evangelischen Dekanat Wiesbaden, ist Teil einer Initiative, die sich in Wiesbaden gegen Kinder- und Jugendarmut einsetzt.
Mehr dazu: https://www.dekanat-wiesbaden.de/angebote/gesellschaftliche-verantwortung/kinder-und-jugendarmut.html
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